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Lampedusa: Politiker lesen mit feuchten Augen

Szenische Lesung im Bürgerhaus Bissendorf (von links):  Marco Brunotte, Caren Marks und Dr. Hendrik Hoppenstedt erinnern an 366 Flüchtlinge, die vor der italienischen Insel Lampedusa ertrunken sind.  Foto: J. Barmwoldt
Szenische Lesung im Bürgerhaus Bissendorf (von links): Marco Brunotte, Caren Marks und Dr. Hendrik Hoppenstedt erinnern an 366 Flüchtlinge, die vor der italienischen Insel Lampedusa ertrunken sind. Foto: J. Barmwoldt

Bissendorf (job). Es kommt selten vor, was am Dienstagabend im Bürgerhaus Bissendorf geschah: Fünf Politiker von drei Parteien lesen gemeinsam vor. Und es kommt sicherlich noch seltener vor, dass ihnen allen gleichzeitig die Augen feucht werden. Doch die beklemmenden, die schrecklichen Zeugenaussagen im Text „Ein Morgen vor Lampedusa“ schaffen es. Die zwei Politikerinnen und drei Politiker sowie ihre gut 100 Zuhörerinnen und Zuhörer sind tief bewegt von dem, was sich am frühen Morgen des 3. Oktobers 2013 vor der italienischen Insel Lampedusa zugetragen hat: Ein mit 545 Flüchtlingen völlig überladener Kutter versinkt, 366 Menschen ertrinken – Menschen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien und Syrien, geflohen vor Krieg und Armut, voller Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Wer waren die Politiker, die bei der szenischen Lesung in Bissendorf mitgewirkt haben? Es waren Caren Marks, SPD-Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin, der ehemalige niedersächsische Umweltminister Dr. Stefan Birkner von der FDP, Editha Lorberg, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Niedersächsischen Landtag, der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Hendrik Hoppenstedt und der SPD-Landtagsabgeordnete Marco Brunotte. Klaus von der Brelie hat die Veranstaltung souverän moderiert. Der Text stammt von Antonio Umberto Riccò. Der langjährige Schulreferent des Italienischen Generalkonsulats Hannover hat dafür Zeugenaussagen und dokumentarisches Material zusammengestellt. Riccò lässt die Einwohner von Lampedusa zu Wort kommen, aber auch Flüchtlinge, Polizisten und Touristen, die die Tragödie miterlebt haben. Der italienische Musiker Francesco Impastato hat eigens für dieses Projekt traurige Musik komponiert. „Ich bin stark beeindruckt, wie die Politiker heute Abend diese Texte vorgetragen haben“, sagte Riccò. Und er sei optimistisch, weil das Wedemärker Publikum so positiv auf die Lesung reagiert habe. Doch wie soll es nun ganz praktisch weitergehen? Der Bundestagsabgeordnete Dr. Hendrik Hoppenstedt antwortete als Erster. „Die Menschen fliehen aus Afrika wegen unmenschlicher Lebensbedingungen“, sagte er. „Sie fliehen nicht wegen Anreizen in Europa.“ Die europäische Politik müsse sich neu positionieren, und die Verhältnisse in Afrika müssten besser werden, aber Europa könne dabei nur unterstützen. Dr. Hoppenstedt regte an, Erstaufnahmezentren an den Küsten in Italien und Spanien einzurichten. Anschließend sollten die Flüchtlinge in ganz Europa verteilt werden. Die meisten Flüchtlinge kämen zurzeit allerdings aus Staaten des westlichen Balkans, also zum Beispiel aus Albanien, Serbien und dem Kosovo. Dort liege kein Asylgrund vor, deshalb müssten sie rasch abgeschoben werden. Marks wies ebenfalls darauf hin, dass es einen Unterschied gibt zwischen Asyl und Einwanderung. Das Asylverfahren greife bei Menschen, die unter Verfolgung oder Krieg litten. Es greife aber nicht bei Menschen, die aus bitterster Armut zu uns kommen – wie etwa aus den Staaten des westlichen Balkans. Marks erinnerte daran, dass Deutschland eine ganze Reihe von Hilfsaktionen der Vereinten Nationen unterstütze, auch in Afrika. „Es bleibt die Frage, wie man Entwicklungshilfe und die Weltwirtschaft insgesamt aufstellt“, sagte Marks. Dr. Birkner wünschte sich eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa: „Wir sollten die Flüchtlinge nicht in der Peripherie lassen.“ Europa müsse als Wertegemeinschaft handeln und die Menschenrechtsstandards einhalten. Editha Lorberg sagte, die Probleme müssten auch in den Herkunftsländern angegangen werden. Die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, sei nicht groß. Das sollten verantwortungsvolle Politiker beachten. Sonst, warnte sie, sei ein Rechtsruck bei den nächsten Wahlen möglich. Flüchtlinge aus den Westbalkan-Staaten müssten schnell zurückgeführt werden können, so Eitha Lorberg. Marco Brunotte sagte, Zuwanderung könne man auch als Chance sehen oder sogar als Notwendigkeit – in Anbetracht der Überalterung der Bevölkerung. Brunotte regte in diesem Zusammenhang an, das deutsche Staatsbürgerrecht zu überdenken. Das Grundproblem fasste er so zusammen: „Wie kriegen wir eine gerechte Welt organisiert?“

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