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Tour de Flur öffnet Verbrauchern die Augen

Fahrräder und Besucher vor dem Biohof der Familie Rotermund-Hemme in Brelingen. Foto: J. Barmwoldt
Fahrräder und Besucher vor dem Biohof der Familie Rotermund-Hemme in Brelingen. Foto: J. Barmwoldt

Wedemark (job). Sonntagnachmittag in Hellendorf: Auf Schönhoffs Spargelfeld sticht Angelika Kaminski eine 20 Zentimeter lange Messerklinge in den sandigen Boden – haarscharf neben den zartweißen Spargelspross. Dann dreht sie die Klinge und zieht, schwuppdiwupp, den abgeschnittenen Spross mit ihrer Linken aus dem Sand. „Das habe ich zuletzt vor 40 Jahren gemacht“, sagt die Wedemärkerin. Sie gehört zu den mehreren Tausend Gästen, die bei strahlendem Sonnenschein an der dritten Tour de Flur teilnehmen. „Die Tour de Flur soll die Landwirtschaft in der Region Hannover so zeigen, wie sie ist“, sagt Dr. Holger Hennies vom Landvolkkreisverband Hannover, dem Organisator der Tour. Hennies eröffnet die Veranstaltung mit einer kurzen Ansprache vor dem Kuhstall der Familie Backhaus in Plumhof. Insgesamt haben sieben landwirtschaftliche Betriebe ihre Höfe und Ställe von elf bis 17 Uhr für Besucher geöffnet – in Bennemühlen, Plumhof, Ibsingen, Brelingen, Mellendorf und Hellendorf. Die sieben Stationen sind durch eine ausgeschilderte 22 Kilometer lange Fahrrad- und Autoroute miteinander verbunden. Wedemarks zweiter Bürgermeister Wilhelm Lucka lobt die teilnehmenden Landwirtsfamilien: „Die Betriebe haben unterschiedliche Lösungen gefunden, um allen Ansprüchen der modernen Landwirtschaft zu begegnen“, sagt er in Plumhof. Kühe, Bullen, Schweine, aber auch Puten, Bio-Hühner, Biogas, Spargel und Braugerste: Die Landwirte in der Wedemark erzeugen tatsächlich die unterschiedlichsten Angebote. „Mit der Tour de Flur möchten wir es Verbraucherinnen und Verbrauchern ermöglichen, mehr über die Herkunft und Produktion ihrer Nahrungsmittel zu erfahren“, erklärt Lisa Johannes, Sprecherin des Landvolkkreisverbandes. Das geschehe am besten im direkten Dialog, wenn der Gast an Führungen teilnehmen und Landwirte sowie zum Beispiel auch Tierärzte fragen könne. Landwirt Cord-H. Backhaus meint es ernst: „Ich beantworte jetzt nur noch kritische Fragen“, sagt er und schiebt seinen Cowboy-Hut in den Nacken. Kuhkomfort? Biete er, sagt er. Er habe 3,8 Millionen Euro in neue Ställe und eine Biogasanlage investiert. Der hohe, an den Längsseiten offene Kuhstall enthalte achtmal mehr Luft als der alte Stall. Keine Kuh sei im Stall angeleint, das Fell jeder seiner 180 Milchkühe werde beim Melken automatisch gebürstet und auch die Kuhfüße würden gepflegt, damit die Kühe länger lebten. Ina, seine älteste Kuh, sei 13 Jahre alt und habe bereits 115.000 Liter Milch gegeben. „Eines meiner Ziele ist es, die Tierarztkosten gering zu halten“, sagt Backhaus. Der Putenmäster Hartwig Rust in Ibsingen sieht das genauso. Bevor Besucher in den 100 Meter langen, 14 Meter breiten und an den Längsseiten offenen Stall dürfen, müssen sie in blaue Overalls schlüpfen sowie Kopfhauben und Überschuhe aus durchsichtiger Plastikfolie überziehen. Ein Mitarbeiter sprüht noch rasch Desinfektionsspray auf die Hände der Gäste, dann geht es durch die schwere Metalltür in den hellen, luftigen Stall. 4000 weiße Puten stehen und stolzieren dort auf frischem Stroh, kommen neugierig-zutraulich zu den Besuchern. Mitarbeiterinnen der Universität Vechta befragen die Besucher vor und nach der Stall-Besichtigung nach ihrer Meinung über die Putenzucht. „80 Prozent der Gäste sind angenehm überrascht“, bestätigt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Désirée Heijne. Mobile Hühnerställe halten die Wiese grün. Überraschend sauber und überraschend hell wirken auch die mobilen Hühnerställe in der Wedemark. Es gibt sie sowohl bei Familie Schönhoff in Hellendorf als auch auf dem Biohof der Familie Rotermund-Hemme in Brelingen. Die Ställe stehen auf Kufen, werden zwei-, dreimal im Jahr mit Traktoren ein Stück weitergezogen. So finden die etwa 2000 Hühner eines Stalles immer frisches Gras vor ihrer Haustür. Landwirt Hermann Hemme hat sich dem Anbauverband Bioland angeschlossen. Er bezieht seine Küken (ohne gekürzte Schnäbel) von Bio-Brütern. Die Eier verkauft er im eigenen Hofladen – genauso wie sein konventioneller Kollege Martin Schönhoff in Hellendorf. Am Sonntagnachmittag herrscht Volksfeststimmung bei Schönhoffs und bei Rotermund-Hemmes. Jeweils gut 100 Autos parken auf den Wiesen an den Höfen, mindestens ebenso viele Fahrräder stehen dort dicht an dicht. Hunderte Gäste sitzen an Biertischen, probieren Deftiges und kosten Süßes. Hüpfburgen aus Strohballen, Wasserspritzen der freiwilligen Feuerwehr und – wie auf Rotermund-Hemmes Biohof – Ponyreiten halten die Kinder bei guter Laune. Die Reitlehrerin Corinna Singelnstein nutzt die Gelegenheit: Sie sucht für die „Brelinger Zwerge“ ein neues Zuhause mit Weide, Auslauf und Unterbringung für Ponys. Frederic Pein von der Gärtnerei Rothenfeld, einem Partnerbetrieb von Rotermund-Hemmes Biohof, freut sich hingegen über die vielen interessanten Fragen der Besucher. Die Tour de Flur habe viele „offene Leute“ auf den Biohof gebracht. „Ich bin zufrieden“, sagt Pein. Mit dieser Einschätzung dürfte er nicht alleine dastehen.

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