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Gemeinde hatte zum zweiten Symposium eingeladen

Wedemark (jo). „Der Satz, wir haben aus unserer jüngsten Geschichte gelernt, hat bis heute Gültigkeit“, sagte Bürgermeister Helge Zychlinski am vergangenen Donnerstag zu den Teilnehmern des zweiten Symposiums zur Geschichte der Wedemark  in den Jahren 1930 bis 1950. Spätestens nach dem Ergebnis der jüngsten  Wahlen auf Bundes- und Landesebene müsse dahinter allerdings ein großes Fragezeichen gesetzt werden: „Umso wichtiger ist unser Projekt, eben genau für diesen Zeitraum die Geschichte unserer Gemeinde aufzuarbeiten.“ Er zitierte den AfD-Sprecher Alexander Gauland, der die Meinung vertritt, die Geschichte der Nazis würde uns heute nicht mehr betreffen: „Das sehe ich ganz anders, denn die Geschichte unsere Landes und unserer Gemeinde gehört zu unserer Identität“. Damit erteilte Zychlinski derartigen Aussagen, die gerade in der jüngsten Zeit immer wieder von Rechtspopulisten verbreitet würden, eine klare Absage. „Leider sind rechtsnationale Äußerungen nicht nur immer öfter, sondern auch immer lauter zu hören. Und das leider auch immer öfter ohne Widerspruch“. Zychlinski bezeichnete die politische Situation auf Bundes- und Landesebene als eine Zeitenwende in den Parlamenten. Sowohl an die Bundestagsabgeordnete Caren Marks (SPD) und die Landtagsabgeordnete Editha Lorberg (CDU) appellierte er: „In diesen Zeiten brauchen wir starke Abgeordnete die diesen Tendenzen entgegentreten.“ Zychlinksi gestand ein, dass auch in der Wedemark der Ton rauer geworden sei. dies bekämen die Mitarbeiter der Verwaltung sowie in den Kitas und Schulen immer wieder zu spüren: „Trotzdem bin ich voller Zuversicht für unsere Zukunft, denn das Engagement unzähliger Ehrenamtlicher, die sich für die Aufarbeitung der Geschichte einsetzen ist groß.“ Dieses ehrgeizige Projekt werde von Beginn an von Dr. Franz Rainer Enste begleitet, der die Aufgabe des Koordinators übernommen hat: „Die Erkenntnisse aus den Geschichtsaufzeichnungen geben uns das Wissen, wie man rechten Strömungen mit Widerstand entgegen tritt.“ Aufmerksam verfolgte das Publikum im vollbesetzten Bürgersaal in Bissendorf die Ausführungen und ließ sich anschließend von Martin Stöber, der das Projekt für das Niedersächsische Institut für Historische Regionalforschung (NIHR) begleitet, die Ergebnisse für den dritten Buchband der Wedemärker Geschichte zum Thema „Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in den Dörfern der heutigen Wedemark“, vorstellen. Inzwischen wisse man von 19 Menschen die während der Kriegszeit als Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene in der Wedemark lebten die Namen. Es waren Frauen, Männer und Kinder, die hier in den Dörfern lebten. Stöber zeigte den Entwurf für eine etwaige Gedenktafel, wie sie beispielsweise in Elze oder in Mellendorf auf den Friedhöfen stehen könnte. Dort sind jeweils noch Grabstellen von Zwangsarbeitern vorhanden. Anhand der Wahlergebnisse in dem genannten Zeitraum hat Sabine Paehr ihre Erkenntnisse präsentiert, die ebenfalls im aktuellen Buch nachzulesen sind. In den Jahren 1919 bis 1933 wurden die Menschen allein neun Mal zu Reichstagswahlen aufgerufen sowie zu weiteren regional begrenzten Abstimmungen: „Die Koalitionsverhandlungen in der Weimarer Republik waren hoch kompliziert und vielleicht ist in der vielfachen Wahlaufforderung verbunden mit einer Politikverdrossenheit der Aufstieg der NSDAP zu erklären, versuchte sie die Entwicklung zu erläutern. Innerhalb von nur wenigen Jahren konnte die NSDAP ihren Stimmenanteil von 1,4 Prozent auf 68,8 Prozent schrauben. Professor Carl Hans Hauptmeyer vom NIHR ging den Fragen nach, wie sich die NSDAP auch in bäuerlichen Gegenden ausbreiten konnte und wie sich die Gesellschaft dem Nationalsozialismus angepasst hat. Die Details dazu sind Inhalt des neuen Buchbandes, den Sabine Paehr und Hauptmeyer an Helge Zychlinski übergaben. Dank der ehrenamtlichen Arbeit von Otto Hemme aus Elze in enger Zusammenarbeit mit Max Steinborn und Heinrich Frank erscheint in Kürze für den Ort eine nahezu lückenlose Aufarbeitung der Nazi Zeit. Unter dem Titel „Leben in einem Dorf von 1930 bis 1950“ liegt es zumindest als Manuskirpt bereits vor. Hemme konnte für die Dokumentation auf eine Vielzahl von Unterlagen aus dem Kreis der eigenen Familie zurückgreifen, sich auf Zeitzeugen beziehen und darüber hinaus auch auf zahlreiche Erinnerungsstücke. So weiß er, dass sein Vater einen abgeschossenen Amerikaner geborgen hat und ihn zur Erstversorgung in das Dorf brachte: „Danach wurde der Fallschirm geborgen, aus der Seide wurde ein Brautkleid genäht“, erzählte er aus dem Alltag der damaligen Zeit. Und den Originalfallschirm sowie andere Dokumente hatte er mitgebracht und unterstrich damit seine Ausführungen. Das Projekt „Erinnerungskultur der Gemeinde Wedemark“ hat auch über die Grenzen hinaus Aufmerksamkeit erregt, wie der ehemalige Landtagspräsident und Kulturminister Rolf Wernstedt als Gastredner sagte: „Sich zu erinnern bedeutet auch sich zu entscheiden, an was man sich erinnern möchte. Oft passiert es, dass etwas weggelassen oder hinzugefügt, wird. Kurz, Erinnerungen kann man nicht immer vertrauen“. Umso wichtiger sei es, sie festzuhalten, sie mit Exponaten greifbar zu machen. Dies sei zum Beispiel mit dem Niederschreiben möglich oder eben auch durch solch besondere Erinnerungsstücke, wie es ein Fallschirm mit eigener Geschichte sein  könne.

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