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Flüchtlingsunterbringung: Ein Dorf diskutiert

Soviel Interesse bei den Zuhörern hat der Scherenbosteler Ortsrat nicht bei jeder seiner Sitzungen. Die außerordentliche Versammlung wollten rund 100 Scherenbosteler nicht versäumen. Foto: S. Littkemann
Soviel Interesse bei den Zuhörern hat der Scherenbosteler Ortsrat nicht bei jeder seiner Sitzungen. Die außerordentliche Versammlung wollten rund 100 Scherenbosteler nicht versäumen. Foto: S. Littkemann

Scherenbostel (lit). Eine kämpferische Vereinsvorsitzende, ein zerknirschter Ortsbürgermeister und viele Fragen von den zahlreich erschienenen Scherenbostelern – es ging hoch her auf der kurzfristig einberufenen Ortsratssitzung am vergangenen Dienstag im Schützenhaus Scherenbostel. Bürgermeister Helge Zychlinski bemühte sich redlich, die Gemüter zu beruhigen und erläuterte dem Publikum im rappelvollen Schützensaal, warum die Belegung der Turnhalle und der alten Schule – des heutigen Drei-Dörfer-Treffs – am Fuhrenkamp durch zwei asylsuchende große Familien für die Verwaltung alternativlos gewesen sei. „Nicht, weil wir dachten, dass das in Scherenbostel eine einfache Sache wird, sondern weil wir keine andere Wahl hatten!“ Die beiden Familien aus dem Kosovo, die der Gemeinde sehr kurzfristig von der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen zugewiesen worden waren, konnten zunächst in Blockhäusern auf dem Gelände des CVJM in Abbensen untergebracht werden. Damit war aber schon in der ersten Februarwoche wieder Schluss, die Häuser waren wieder vermietet. Händeringend habe die Verwaltung nach einer passenden Immobilie für die 17 Menschen gesucht, die groß genug sei und vor allem über Sanitäranlagen verfügen musste, erklärte der Bürgermeister. Und: Es habe alles sehr schnell gehen müssen. „Nach Abwägung aller Gesichtspunkte blieb nur Scherenbostel mit der Turnhalle und der alten Schule übrig!“ Noch am Montagabend wurde Ortsbürgermeister Gerd Dolle informiert, am Dienstag gab es eine Krisensitzung in der Verwaltung, anschließend wurde die Spiel- und Sportgemeinschaft Scherenbostel (SSG) über die anstehende Nutzungsänderung der Turnhalle informiert. Bereits am Mittwoch war der Vereinsbetrieb eingestellt, statt Mutter-Kind-Turnen rückten Mitarbeiter des Bauhofs an, um die Halle in eine Notunterkunft zu verwandeln. In der Eile muss auch die Kommunikation gelitten haben. Der Ortsbürgermeister habe es versäumt, sie rechtzeitig anzurufen und über die Hallenschließung zu informieren, schimpfte die Vorsitzende der SSG, Cora Lammers, vor der Versammlung. „Das tut mir leid, ich hatte einfach zu viel um die Ohren“, erwiderte Dolle reumütig. Damit nicht genug: Die CDU habe eine übereilte Pressemitteilung heraus gegeben und darin behauptet, dass der Verein an der Hallenschließung zerbrechen könnte. „So ein Quatsch“, sagte Lammers, stinksauer. „Der Verein zerbricht daran nicht, der hält zusammen und steht das durch!“ Durch diese Negativbotschaft habe es aber bereits kurze Zeit später Vereinsaustritte gegeben. Die gute Nachricht sei, dass andere Wedemärker Vereine der SSG bereits ihre Unterstützung angeboten hätten. „Wir können die Halle des Bissendorfer Turnvereins bis auf weiteres mit nutzen und unsere Tischtennissparte kann zum SV Resse ausweichen“, freute sich Lammers. Auch der MTV habe die Bereitschaft signalisiert, der SSG Hallenzeiten zur Verfügung zu stellen, wusste Zychlinski. „Und auch die Verwaltung wird Sie nicht hängen lassen und für die Kosten aufkommen, die der SSG durch die Anmietung anderer Hallen entstehen können“, versicherte der Bürgermeister. Die Belegung der Turnhalle mit Asylsuchenden sei ein Provisorium, das schnellstmöglich beendet werden müsse, machte der Bürgermeister deutlich. „Eine Turnhalle ist keine Wohneinheit!“ Auf die Frage aus dem Publikum, wie lange das Provisorium denn dauern solle, antwortete er: „Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, aber wir reden hier über Monate, nicht über Jahre.“ Große Hoffnung setzt die Verwaltung auf den Umbau des bisherigen Dorfgemeinschaftshauses zu einer dauerhaften Flüchtlingswohnung. „Dann ist das Thema Sammelunterkunft Turnhalle endgültig durch“, stellte Zychlinski in Aussicht. Diese Variante traf allerdings auf wenig Gegenliebe bei den anwesenden Scherenbostelern, denn sie bedeutet auch das Aus für den beliebten Drei-Dörfer-Treff. Alternativen wurden lebhaft diskutiert – von Wochenendhäusern bis hin zu Wohncontainern reichten die Vorschläge. „Wir haben hier in der Wedemark ­eine erfreuliche Willkommenskultur und es gibt viel Solidarität mit den Flüchtlingen“, sagte SPD-Ortsratsmitglied Michael Wilken. „Wenn wir jetzt aber anfangen, den Menschen ihre zentralen Einrichtungen des Dorfleben wegzunehmen, könnte die Stimmung auch kippen“, ­befürchtet Wilken. Der Umbau der kleinen Schulräume sei darüber hinaus keine praktikable Lösung für die Zukunft, in der mit verstärkten Zuweisungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu rechnen sei. Das ­sahen auch die anderen Mitglieder im Ortsrat so. Einstimmig wurde der Antrag der SPD-Ortsratsfraktion angenommen, die für den Umbau vorgesehe­nen 60.000 Euro für die ­Finanzierung einer längerfristigen Lösung zur Verfügung zu stellen.

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