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Auf dem Webstuhl entstand ein Leinentuch

Bissendorf (jo). Mit Schwung hebt Ingrid Rode ihre Beine über die schmale Holzbank des alten Webstuhls und dabei hat sie schon die vielen Fäden der frisch aufgespannten Kette im Blick. Denn ihr macht so schnell keiner etwas vor, wenn es um das alte Handwerk des Webens geht: Ingrid Rode hat in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag gefeiert, was ihr nicht zum ersten Mal ungläubige Blicke eingebracht hat, wenn sie davon erzählt. In Esperke ist sie zu Hause und seit vielen Jahren im Heimatverein Helstorf engagiert. Natürlich spielen dabei die Webstühle, die dort im Heimatmuseum zu bewundern sind, eine Rolle: „Ich bin irgendwann einmal angesprochen worden, ob ich dort nicht mal etwas machen möchte”, erzählte die muntere Seniorin, die sich jetzt auch im Richard-Brandt-Heimatmuseum in Bissendorf um den historische nWebstuhl mit der eingeschnitzten Jahreszahl 1816 „kümmert”. Ein Leinenhandtuch hat sie dort gewebt: „Man muss doch auch sehen können, wofür früher diese Webstühle genutzt wurden”, ist die Antwort auf die Frage, warum sie den weiten Weg in Kauf genommen hat. Und Museumsleiter Karl-Hans Konert freut es: „Lange stand einfach nur der Webstuhl in der Ausstellung, jetzt bekommt er viel mehr Attraktivität, wenn auch zu sehen ist, wie es aussieht, wenn er richtig bespannt ist”. Zustande gekommen ist der Kontakt nach Esperke beziehungsweise zum Helstorfer Heimatverein über Wedemarks Ortsbürgermeisterin für Plumhof-Berkhof-Sprockhof, Rosemarie Spindler. Während eines Schmiedetages in der alten Schmiede in der Nachbargemeinde wurde auch das Weben vorgeführt: „Frau Spindler hat mich angesprochen, ob ich nicht auch Lust hätte, mal den Webstuhl in Bissendorf wieder zu bespannen. Und ich habe zugesagt”. Bei inzwischen mehreren Besuchen haben beide zusammen die Kette für die Webarbeit in mühevoller Kleinarbeit neu aufgezogen und in der vergangenen Woche war es dann soweit, dass Ingrid Rode mit dem eigentlichen Weben beginnen konnte. Dabei erzählte sie, dass für sie nach dem Krieg die Frage aufkam, was sie denn nun lernen möchte: „Eigentlich hatte ich mir etwas künstlerisches vorgestellt, etwa den Beruf einer Restauratorin. Allerdings waren die Zeiten direkt nach dem Krieg nicht danach. Es fehtle an allem und vor allem an Kleidung und Wäsche. Also war für mich eine Ausbildung zur Weberin das naheliegendste”. Der Vater war im Krieg gefallen, die Mutter war mit ihr und ihren Geschwistern zu dieser Zeit bereits aus der Stadt Hannover in Isernhagen gelandet: „Wir waren ausgebombt und kamen dort in einem Behelfsheim unter, das die Mutter aus eigener Kraft gebaut hatte. Für Ingrid Rode hieß es als 18-jährige Abschied zu nehmen, denn um den Beruf der Weberin zu lernen musste sie nach Lübeck umsiedeln: „Das war für mich eine schwere Zeit, ganz ohne Familie”. Nach nur einem Jahr bot sich die Chance, zurück nach Isernhagen zu ziehen, als dort die alte Weberei wieder die Arbeit aufnahm: „Die Firma hatte es geschafft, vier Webstühle während der Kriegszeit einzulagern und ich konnte endlich wieder nach Hause”. In der Hauptsache wurde dann alles das produziert, was die Menschen brauchten, erzählte Ingrid Rode. Mantel- und Kleiderstoffe, Stoffe für Wäsche und den Haushalt: „Wir haben damals sogar Modenschauen veranstaltet und vorgeführt, was wir hergestellt haben”. Schnell kam nach dem Krieg die industrielle Stoffproduktion wieder in Gang und die Handwebereien waren nicht mehr besonders gefragt. Etwa genau zu dieser Zeit lernte Ingrid Rode ihren späteren Mann kennen und seit der Hochzeit ist sie in Esperke zu Hause: „Wir hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb und ich kümmerte mich um die Familie und den Haushalt”. Erst als die Kinder größer wurden, hat sie wieder für den Eigenbedarf mit der Weberei angefangen. Regelmäßig aber erst, seit sie beim Heimatverein aktiv ist. Mittlerweile gibt es dort eine Gruppe von 8 Frauen, die versuchen, diese alte, traditionelle Handwerkskunst am Leben zu erhalten: „Und ich staune”, sagte sie: „in letzter Zeit haben sogar wieder jüngere Frauen Interesse daran”, fügte sie hinzu und machte sich an die Arbeit am Bissendorfer Webstuhl, damit sie ihren Zeitplan von etwa zwei Stunden für ein Handtuch auch einhalten konnte.

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