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Zeitzeuge beeindruckt Schüler mit Lebensgeschichte

Gershon (Gerd) Willinger sprach vor der Klasse 10.3 über sein ­Leben als Kind einer jüdischen Familie zur Zeit des Naziregimes. Foto: M. Stutzki
Gershon (Gerd) Willinger sprach vor der Klasse 10.3 über sein ­Leben als Kind einer jüdischen Familie zur Zeit des Naziregimes.
Foto: M. Stutzki

Mellendorf (mcrs). Ehrfürchtig saßen die Zehntklässler vor Gershon Willinger und lauschten seinen Erzählungen. Wie Fragmente aus dem Film der Anne Frank oder Bildmaterial aus Bergen Belsen huschten die Erinnerung seiner frühen Kindheit über die Leinwand im Gruppenraum am Campus W. Joachim Kasten, Lehrer an der IGS hat dieses Projekt ins Leben gerufen und Gershon Willinger in die Wedemark eingeladen. Denn der 74-jährige arbeitet als aktiver Zeitzeuge und ist auf der ganzen Welt unterwegs, um seine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die nicht in Vergessenheit geraten darf, da sie Menschen an grauenvolle Taten aus nicht allzu ferner Vergangenheit erinnert. „Ich bin ein lebendes Stück Geschichte unserer Zeit und bin stolz meine Geschichte hier erzählen zu dürfen“, erzählt der heute in Kanada lebende Mann auf Englisch. Geschichte mal anders, für die Europaklasse von Lehrerin Franziska Frome-Ziegler eine besondere Erfahrung. Das dritte Reich ist immer noch ein fester Bestandteil des Stundenplans im Fach Geschichte. Das Konzentrationslager Bergen Belsen hatten die Schüler bereits besichtigt. Doch mit jemandem zu sprechen der diesen Teil unserer Geschichte selbst erlebt hat war schon etwas Besonderes. „Gerd“ war sein bürgerlicher Name den seine Eltern ihm bei seiner Geburt im Ort Drehnte an der holländischen Grenze zu Deutschland gaben. Denn hier versteckten sie sich bei einer nicht-jüdischen Familie vor den Nazis. Doch bei einem Transport wird die Familie entdeckt und exekutiert. Was zurückbleibt ist ein zweijähriger Junge, der in ein Waisenlager nach Westerbork gebracht wird. Die Nazis nennen ihn „Fritz“ oder „Fritzchen Israel“. Einzelschicksale interessierten niemanden. Seine Erinnerungen an unterschiedlichste Kinder und Jugendliche, die sich seiner angenommen hatten, in dessen Armen er schlief, mit denen er lebte und erst nach ­Bergen Belsen und dann nach Theresienstadt transportiert wurde, waren seine Familie. Viele starben in dieser beschwerlichen Zeit oder wurden letztendlich deportiert. Gershon Willinger überlebt und wird schließlich von der Roten Armee aus dem KZ in Tschechien befreit und in sein Geburtsland Holland ­zurückgebracht. Ohne Familie, ohne zu wissen wer er ist, kommt er in eine Pflegefamilie. 1977 emigriert er nach Kanada und geht seiner Geschichte auf den Grund. Bei einer seiner vielen Reisen nach Deutschland und nach Tschechien erhält er meist eher zufällig Informationen zu seiner Person. Tatsächlich gibt es Akten, die ihn auf Bildern bei seiner Einlieferung zeigen und Dokumente, die belegen, dass er in der Gruppe „unbekannte Kinder“ reiste. Diese Dokumente werden zu seiner Familie. Gedruckte Worte, die seine Wurzeln bedeuten. Heute ist er glücklich verheiratet und lebt immer noch nach dem jüdischen Glauben und seiner Kultur in Kanada. Hoffentlich besucht er noch viele weitere Schulklassen dieser Welt, denen er ein Stück lebende Geschichte zu Teil werden lassen kann.

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